Liebe Osteroder Ostpreußen,

liebe Nachkommen der Osteroder Ostpreußen,

liebe Freunde Ostpreußens

Ostern liegt noch nicht allzu lange zurück und ich hoffe, Sie hatten frohe Feiertage. Es hat, denke ich, seinen tieferen Sinn, dass dieses Fest, mit dem wir die Unvergänglichkeit des Lebens feiern, in den Frühling fällt. Denn in dieser Jahreszeit erleben wir die Wiedergeburt der Natur. Überall sprießt und blüht es. Überall Licht, Wärme und Farben. Überall Liebe und Leben. Ein Wunder.

Als ich noch klein war, erzählte mir mein Vater oft von Ostern in Ostpreußen. Besonders an das „Schmackostern“ erinnerte er sich lebhaft. Die Jungen des Dorfes zogen am Morgen des Ostersonntags von Haus zu Haus und forderten milde Gaben mit einem kecken Spruch ein, den mein Vater stets so schnell und in ostpreußischer Mundart wiedergab, dass ich nur die Wörter „Eier“ und „Speck“ verstand. Ich glaube aber, dass er wohl so ging:

„Ostern, Schmackostern,

gib Eier zu Ostern,

gib Butter und Speck,

dann lauf‘ ich gleich weg.“

 

Doch nun, liebe Leserinnen und Leser der Osteroder Zeitung, möchte ich Ihnen von Lena erzählen.

Lena wollte sich als dreizehnjährige Schülerin ihr Taschengeld ein wenig aufbessern und entschloss sich deshalb, im örtlichen Seniorenheim alten Menschen gegen ein kleines Entgeld vorzulesen. Auf diese Weise lernte sie die weit über neunzigjährige Toni Kerstan aus Ostpreußen kennen. Anfangs war es für Lena nur ein Job in einer doch recht ungewohnten Umgebung. Aber im Laufe der Zeit kamen sich die beiden menschlich näher, Geld spielte keine Rolle mehr und Lena verbrachte so viel Zeit wie möglich mit Frau Kerstan, um deren aufregende Lebensgeschichte zu erfahren. So wuchs zwischen den beiden Frauen – über einen Altersabstand von mehr als 80 Jahren hinweg – eine innige Freundschaft und Lena begann, über den schicksalhaften Lebensweg ihrer ostpreußischen Freundin ein Buch zu schreiben, das sie Frau Kerstan zu ihrem 103. Geburtstag widmete. Lena konnte ihr daraus noch einige Kapitel vorlesen, bis die alte Dame schließlich verstarb.

Doch diese tiefe Freundschaft hatte Lena nachhaltig geprägt. Deshalb fuhr sie auf den Spuren ihrer verstorbenen Freundin nach Ostpreußen – kam dabei auch in unseren Heimatkreis nach Hohenstein, wo Frau Kerstan eine Zeit lang auf dem Postamt gearbeitet hatte – und verliebte sich in das Land der dunklen Wälder und kristall’nen Seen.

Inzwischen ist Lena eine junge Lehrerin und engagiert sich für Ostpreußen. Ich lernte sie im vergangenen Jahr bei der Verleihung des Jugendnachwuchspreises in Hannover kennen, wo sie mit ihrer außergewöhnlichen Geschichte den Hauptpreis erhielt. Lena Hammann wird auf der Feierstunde unseres Jahrestreffens 2023 am 16. September in Lüneburg den Festvortrag halten.

Ich bin glücklich, dass wir Frau Lena Hammann als Festrednerin haben gewinnen können, weil sie für mich in geradezu idealer Weise ein verständnisvolles, ja liebevolles Miteinander der Generationen verkörpert. Gleichzeitig steht sie natürlich für den Generationenwechsel, der für unsere Kreisgemeinschaft nichts weniger als eine Überlebensfrage ist.

Wie ich bereits in meinem letzten Geleitwort schrieb, habe ich nach der schwachen Beteiligung am letzten Jahrestreffen den Eindruck, dass wir uns an einem entscheidenden Wendepunkt befinden. Alles hängt jetzt davon ab, ob die der Erlebnisgeneration nachfolgenden Generationen bereit sind, ihr Erbe anzunehmen. Lassen Sie uns in Lüneburg ein starkes Zeichen für den Generationenwechsel und damit für den dauerhaften Fortbestand unserer Kreisgemeinschaft setzen! Denn deren Aufgabe ist noch lange nicht erfüllt.

Das diesjährige Jahrestreffen ist aber noch aus einem weiteren Grund besonders bedeutsam. Denn wir werden das siebzigjährige Patenschaftsjubiläum mit dem Landkreis Göttingen (als dem Rechtsnachfolger des früheren Landkreises Osterode am Harz) begehen. Es ist uns eine große Freude und Ehre, dass der neue Landrat, Marcel Riethig, seine Teilnahme zugesagt hat. Wir verdanken unseren Paten unendlich viel und empfinden große Dankbarkeit für all das, was sie seit dem Zweiten Weltkrieg für uns geleistet haben und bis zum heutigen Tag leisten.

Doch bevor wir uns im September in Lüneburg treffen werden, sehe ich hoffentlich möglichst viele von Ihnen zu unserem Regionaltreffen am 4. Juni in Hamm Westtünnen wieder.

Bis dahin verbleibe ich

mit heimatlichen Grüßen.

Ihr

Burghard Gieseler

 

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